In dem Gedicht "Irrtum", welches 1988 von Ulla Hahn veröffentlicht wurde, geht es um ein Paar, welches ihre jeweilige
Meinung zur Liebe preisgibt. Das Gedicht ist der Gattung der neuen Subjektivität einzuordnen.
Nach meinem ersten Textverständnis will uns die Autorin mit dem Gedicht zeigen, wie Menschen sich in Punkto Liebe irren können.
Das Gedicht von Ulla Hahn ist in Sonettform aufgebaut, sprich 2 Quartette und 2 Terzette. Das Metrum ist größtenteils
Jambus und die Kadenzen weitestgehend männlicher. Es ist kein Reimschema vorhanden, jedoch ist die inhaltliche Zäsur
zwischen den Quartetten und Terzetten von Ulla Hahn eingehalten worden.
Die erste Strophe ist gefüllt von der Meinung des Mannes, welcher die Liebe mit dem Schnee vergleicht. Beide haben
seiner Ansicht nach die Eigenschaft, auf alle hinab zu fallen, aber nicht von langer Dauer zu sein, womit er meint,
dass starke Liebe nicht existiert.
In der zweiten Strophe hören wir die Ansicht der Frau, welche zwar eine ähnliche Auffassung wie der Mann hat, jedoch
ein gegensätzliches Beispiel bringt. Sie nimmt das Beispiel mit dem Feuer, welches in geringem Maße wärmt, aber dich
verzehrt, wenn es dich ergreift und ausgetreten werden muss. Nach dem inhaltlichen Bruch des Sonetts finden wir in der
ersten Strophe eine Handlung. Er greift nach ihr und sie macht keine Anstalten, sich dagegen aufzulehnen. In der letzten
Strophe wird noch einmal klar, dass sie nicht viel von der Liebe halten.
Nun zur Interpretation des Gedichts. Die Wahl eines Sonetts hatte Ulla Hahn bestimmt nicht aus reiner Willkür getroffen.
Durch den inhaltlichen Bruch wird der Irrtum deutlich, mit dem das Gedicht betitelt ist. Der Mann redet von Wasser (Schnee)
und die Frau von Feuer, welche in hohem Maße gegensätzlich sind. Ihre Haltung zur Liebe ist zwar gleich, aber ihre
Bedeutungen zum Wort nicht. Während nach Meinung des Mannes die Liebe "schmilzt" und einen loslässt, ergreift und
verzehrt sie den Liebenden in der Darstellung der Frau. Hier kommt ganz deutlich rüber, dass sie denken, dass sie
nicht zusammen passen und es keine wirkliche Liebe gibt. Doch durch den inhaltlichen Bruch des Sonetts und den Titel
"Irrtum" wird deutlich, dass sie sich doch lieben. Dies wird in den Terzetten ganz deutlich. Im ersten Terzett machte
er eine Geste, mit der er indirekt fragte, ob sie bei ihm bleiben würde. Sie bejahte diese Frage, indem sie die gereichte
Hand nicht ausschlug und bei ihm liegen bleibt. Durch das zweite und letzte Terzett wird deutlich, dass das eintritt, was
die beiden ihrerseits über die Liebe gesagt haben. Sein "Schnee" schmilzt und sie wird vom Feuer der Liebe verzehrt.
Die beiden glauben vielleicht nicht an die Liebe, aber sie empfinden sie und das will Ulla Hahn mit dem Titel "Irrtum"
zum Ausdruck bringen.
Die einzelnen Verse der Strophen sind durch die fehlenden Kommata (Enjambements), eng miteinander verbunden. Des Weiteren
sind viele rhetorische Mittel zu finden. In Vers 1-2 finden wir mit "Und mir der Liebe ist's wie mit dem Schnee" einen
Vergleich. Im zweiten Quartett ist eine Metapher in Form der Liebe als Feuer zu finden. Die Wortfelder sind klar
gegensätzlich. Zum einen haben wir einmal den Schnee/Kälte (Vergänglichkeit) und zum andern das Feuer/Wärme (Leidenschaft,
aber auch Gefahr). Die Gleichheit der Meinungen, dass sie nichts von Liebe halten, erkennen wir am Parallelismus in den
beiden Quartetten, auch wenn die sich die Wortfelder feindlich gesonnen sind.
Meiner persönlichen Einschätzung nach vermute Ich, dass hinter dem lyrischen Ich Ulla Hahn steckt. Es ist zwar nur eine
These, da ich keine Stellungnahme von Ulla Hahn zur Hand habe, aber es wäre anzunehmen, da das lyrische Ich aus der
Beobachterperspektive berichtet und Ulla Hahn vielleicht mit diesem Gedicht versucht, ein Erlebnis aus ihrer Vergangenheit
zu verarbeiten.
Setze ich die Analyse mit meiner anfänglichen Interpretationshypothese auseinander wurde ich vollkommen in meiner Meinung bestärkt.
Tatsächlich irren sich die beiden in Punkto Liebe. Sie denken, dass sie sich gegenseitig nicht Lieben und das auch
nicht sollten, aber sie tun es.
Abschließend lässt sich noch sagen, dass Ulla Hahn wieder mal gezeigt hat, dass Irrtümer überall auftreten, und man sich
erstmal über die Gegebenheiten klar werden sollte, ohne starr an seiner Meinung festzuhalten.
Vergleicht man "Irrtum" mit den anderen Werken von Ulla Hahn, fällt die inhaltliche Ähnlichkeit zu ihren anderen
Liebesgedichten in Betracht.