Grodek (1914) - Georg Trakl

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Georg Trakl 1. Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
2. Von tödlichen Waffen, die goldenen Ebenen
3. Und blauen Seen, darüber die Sonne
4. Düster hinrollt; umfängt die Nacht
5. Sterbende Krieger, die wilde Klage
6. Ihrer zerbrochenen Münder.

7. Doch Stille sammelt im Weidengrund
8. Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
9. Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;
10. Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.

11. Unter goldenem Gezweig der Nacht und Sternen
12. Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
13. Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
14. Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.

15. O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre
16. Die heiße Flamme der Geistes
17. nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
18. Die ungeborenen Enkel.

Gedichtprofil

Allgemein
Name: Grodek
Autor: Georg Trakl
Veröffentlicht: 1914
Epoche: Expressionismus
Gattung: Naturlyrik/Kriegslyrik

Formal
Verse: 18
Strophen: 4
Metrum: nicht regelmäßig
Reimschema: nicht regelmäßig
Reimart: nicht regelmäßig
Kadenz: nicht regelmäßig

Sprachlich/Stilistisch
Wortfelder: Natur, Religion
Adjektive: tödlich, golden, düster, sterbend
Tempus: Präsens
Stilmittel: Oxymoron (V.3-4), Personifikation (V.5), Depersonifikation (V.6), Inversion (V.8)

Erzähler
Lyrisches Ich: Nein
Perspektive: Auktorial
Haltung: kritisch

Analyse und Interpretation


Das Kriegsgedicht „Grodek“ von dem expressionistischen Dichter Georg Trakl aus dem Jahre 1914 entstand unter dem Eindruck der Schlacht in Galizien, in der Trakl als Sanitäter teilnahm. Er zeichnet in dramatischer Weise die Schrecken des Krieges, die ihn tief erschütterten und an denen er auch zugrunde gehen sollte. Das Gedicht ist weder in Strophen unterteilt noch weist es ein durchgängiges Metrum auf. Wie der Krieg selbst, so ist auch die Form vom Chaos geprägt.

Trakl personifiziert zu Beginn die Wälder, die vom Schlachtlärm tönen. Es scheint, als ob die Wälder selbst kämpfen, als wären sie selbst Akteure und nicht Opfer. Der Mensch stört die abendliche Natur, die neben dem zeitlichen Aspekt des Tagesendes auch „herbstlich“ d.h. jahreszeitlich vom nahen Ende zeugt, das eben die „tödlichen Waffen“ bringen. Schon zu Beginn weist Trakl also dreimal auf das nahe Ende hin. Das Motiv des Endes findet sich in dem Adjektiv „sterbende“ Zeile 5 und in Zeile 10 „schwarze Verwesung“ wieder. Das Motiv des Herbstes, sowie das Tönen „der dunklen Flöten im Rohr“ verstärkt den Eindruck von Verwesung, Dunkelheit und Tod. Die Geräusche der herbstlichen Natur rahmen die Schlacht ein. Sie klingen wie ein Klagen, bzw. werden schließlich so interpretiert.
Der Tod, die Nacht umfängt die Krieger, und lässt ihre Klage verstummen, die nur noch wirr und bruchstückhaft ihren zerbrochenen Mündern entrinnt. Der Soldat wird auf einen Körperteil reduziert, es ist nicht die Klage eines Sterbenden, sondern nur noch die Klage eines Mundes.
Es folgt eine Stille, die Weide ist blutgetränkt. Auf einem Platz, der eigentlich dem Menschen und seinem Leben dient, der Fleischzucht, ist der Tod eingezogen. Die monde Kühle verweist auf Wahnsinn und Kälte wiederum auf Stillstand, Leere, Stille und Tod. Die Farbe Rot, das Gewölk, in dem ein zorniger Gott, wohl der Kriegsgott Mars, wohnt, verstärkt den Eindruck von Leid und unmenschlichen Chaos.
Es gibt kein Entkommen, niemand und kein Ort wird verschont. Alle Straßen, alle Wege des Menschen, die er selbst erst gebaut hat, führen in den Tod, der mit der Farbe Schwarz symbolisiert wird.
In der Nacht, in der nur am Himmel oben Licht ist, geht unsicher ein Schatten durch den stillen Hain, die Schwester aber findet kein Leben mehr, nur noch Geister der toten Helden und blutende Häupter, wieder nur Teile des Menschen. Die Einheit ist zerrissen. Der Schatten der Schwester, der sich zwischen all dem Tod und Leid noch bewegt stellt in seiner weiblichen Fürsorge eine kleine Hoffnung dar.
Untersucht man die Klangkulissen, die Trakl aufbaut, fällt auf, dass auf die Geräusche des Waldes und auf den Lärm der Schlacht, der „wilden Klage“ eine Stille folgt, selbst der Hain schweigt. Dann aber regt sich wieder leise die Natur. Die Natur ist also nicht durch den lärmenden Menschen zerstört worden, nur er selbst ist tot und somit stumm. Trakl benutzt vor allem dunkle Farbsymbolik. Den bunten, herbstlichen Wäldern stellt er goldene Ebenen und blaue Seen entgegen. Gold symbolisiert normalerweise Idylle und Glück, Reichtum und Leben, Blau steht für Sehnsucht und Unendlichkeit, für Transzendenz. Trakl baut hier einen Kontrast auf zwischen der Schönheit und Gleichgültigkeit der Natur und dem zerstörerischen Wesens des Krieges bzw. des Menschen. Die Sonne rollt düstrer über die Szenerie hin. Das Oxymoron Sonne und düster verweist auf einen Widerspruch, ein nicht Zusammenpassen, ein entfesseltes und sinnloses Chaos. Die Sonne wirkt wie eine zerstörerische Kraft, nicht als Licht und Lebensspender. Der Zeilensprung verdeutlicht die rollende Bewegung derselben. Und selbst das düstre Licht wird von der Nacht geschluckt. Das rote Gewölk des Blutes kontrastiert die monde Kühle. Eine kräftige und warme Farbe wird einem blassen und kaltem Mond gegenübergestellt, das Leben dem Tod. Der schwarzen Verwesung folgt zugleich ein goldenes Gezweig der Nacht. Der Vernichtung auf der Erde trotzen die ewigen Sterne am Himmel. Der Kontrast Leben/Tod wird erneut am Kontrast blutende Häupter und Schatten bzw. dunkle Flöten deutlich. Die Endzeit ist eingleitet.
Die Syntax wirkt abgehackt, asyndetische Reihungen verstärken den Eindruck von Chaos, von ungebremster Zerstörung und dem fortlaufenden Einprasseln von Sinneseindrücken. Oft fehlt die logische Verknüpfung zwischen Satzteilen wie in Zeile 9: die mondne Kühle steht in keinem logischen Zusammenhang zum Restsatz, sie ist eher ein neuer Eindruck, der sich in den schon bestehenden mischt.
Nachdem das lyrische Ich seine Eindrücke und Beobachtungen geschildert hat, spricht es am Ende direkt. Mit der Apostrophe, oh, stolze Trauer, kritisiert Trakl ironisch den Ehrbegriff, der dem Krieg neben dem Notwendigen auch noch das Tugendhafte zuspricht. Aus den Opfern auf den „ehernen Altären“, aus dem gewaltigen Schmerz des Krieges entwächst die Zukunft, die aber noch unsicher ist, da die Enkel noch nicht geboren sind. Es scheint, dass nur das Entsetzen und die Sorge um die kommende Generation die „Flamme“ der Existenz noch am Brennen hält.

Georg Trakl bringt in seinem Gedicht sein persönliches Entsetzen über die Realität des Krieges zum Ausdruck. Der Krieg zerstört jede Harmonie, entfesselt ein Chaos, entmenschlicht die Beteiligten und steht im absurden Gegensatz zur Ruhe der Natur. Allerdings scheint es, dass es doch noch etwas wie Hoffnung auf Rettung gibt. Die Schwester, die Fürsorge und Liebe des Weiblichen ist noch fähig die „ungeborenen Enkel“ zur Welt zu bringen, also neues Leben zu schaffen. Die Liebe von Brüdern zu Schwestern ermöglicht es durch die „heiße Flamme des Geistes“, d.h. durch das Wecken des Verstandes durch den aktuellen Schmerz kommende Generationen zu ermöglichen. Neben Rettung aus eigener menschlicher Kraft gibt es aber auch noch eine transzendente Ebene. Die Geister der Helden unter dem Sternenhimmel weisen auf eine Zukunft hin, nach der Zerstörung. Auch wendet sich Trakl selbst an eine höhere Instanz, die Rettung bringen soll. Die Opfer heute werden Ansporn für das Morgen. Die Mythologisierung durch Anspielungen auf die Antike idealisiert die Kriegsrealität und beschönigt bzw. verschweigt persönliche Leidensschicksale. Dies könnte Trakls Hoffnung auf Bewahrung kommender Generationen durch die alten Ideale zum Ausdruck bringen.