Fabrikstraße tags (1911) - Paul Zech

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Allgemein
Name: Fabrikstraße tags
Autor: Paul Zech
Veröffentlicht: 1911
Epoche: Expressionismus
Gattung: Stadtlyrik

Formal
Verse: 14
Strophen: 4
Metrum: Trochäus
Reimschema: abba, cddc, eff, egg
Reimart: Umarmender Reim
Kadenz: männlich

Sprachlich/Stilistisch
Wortfelder: Stadt, Mensch
Adjektive: kalt, hart, turmhoch, riesig, uhrenlos
Tempus: Präsens
Stilmittel: Enjambement (V.1,2,5,6,9,10,13), Alliteration (V.1), Onomatopoesie (V.3), Metapher (V.8), Symbol (V.12)

Erzähler
Lyrisches Ich: Nein
Perspektive: Personal
Haltung: kritisch

Analyse und Interpretation


Das Gedicht "Fabrikstraße Tags" von Paul Zech 1911 veröffentlicht, handelt von dem monotonen und einseitigem Leben als Fabrikarbeiter. Dem Jahr der Veröffentlichung zu Folge ist das Gedicht dem Expressionismus zuzuordnen.

Nach meinem ersten Leseverständnis will Paul Zech mit seinem Gedicht die Eintönigkeit und Tristesse, sowie die Gefühlskälte von zwischenmenschlichen Beziehungen zur Zeit des Expressionismus, darstellen.

In der ersten Strophe wird eine grobe Übersicht über den Ort gegeben. Das lyrische Ich befindet sich auf einer eintönigen und ruhigen Fabrikstraße. Strophe zwei schildert daraufhin einen Mensch der dem lyrischen Ich begegnet. Wie kühl und desinteressiert die beiden Personen aneinander passieren, verdeutlicht das erste Terzett. Das diese Gleichgültigkeit alle Gesellschaftsschichten betrifft und nicht nur ein seltenes Phänomen ist, gibt die letzte Strophe ausdrucksstark wieder.

Das Sonett besteht aus insgesamt 14 Versen und gliedert sich in jeweils zwei Quartette und Terzette. In den Quartetten liegt ein umarmender Reim und in den Terzetten eine Variation des umarmenden Reimes vor. Im Kollektiv betrachtet lautet das Reimschema abba, cddc, eff, egg. Darüber hinaus ist das Metrum ein fünfhebiger Trochäus (betont, unbetont) und die Kadenzen sind männlich.

Das Gedicht beginnt mit der nüchternen Beschreibung der Umgebung, wo sich das lyrische Ich aufhält. Einheitliches Mauerwerk (V.1) umgibt den Standort der Fabrikstraße und lässt damit keinen Platz für die Natur (V.1). Diese scheint für den Verfasser aber von Bedeutung, weil er sonst auf die Nennung von Gras verzichtet hätte. Es wirkt fast so als sehne sich das lyrische Ich nach etwas Abwechslung aus dem monotonen Arbeitskreislauf in der Fabrik und dem täglich kongruierendem Bild der Mauern. Selbst Fensterglas (V.1) wäre eine erhoffte Abwechslung auf den langen Fassaden die sich zusammen mit der Straße (V.2) endlos durch die anthropogene Landschaft ziehen (V.2). Sogar die Bahn, die für neue Menschen und aktuellere Kommunikationsthemen sorgen würde, hat ihre Fahrt in dieses trostlose Gebiet eingestellt (V.3). Jeder Tag ist identisch mit dem vorherigen, dass selbst die Hoffnungsbringende Sonne die Pfützen auf den Straßen nicht mehr trocknen will/kann (V.4).

Dieses Phlegma wird auch in der folgenden Strophe zwischen den Menschen deutlich. Die Personen auf die man trifft, begegnen sich teilnahmslos (V.5). Vermutlich ist die Fassade eines jeden ein Selbstschutz, denn es wirkt als hätten die Menschen zur Zeit des Expressionismus Angst vor der Kommunikation mit fremden Menschen, um sich dem Gegenüber nicht zu Offenbaren. Stattdessen geht man Schweigend an seinem Gegenüber vorbei und verletzt unwissend den anderen, in dem Glauben, der andere sei Emotionskalt. So trifft man sich Gegenseitig bis ins Mark (V.6) ohne es zu wissen und begegnet seinen Mitmenschen frigid und feindlich gesinnt (V.6-7). Die langen Zäune (V.7) sind plötzlich nicht mehr nur noch lang, sondern auch turmhoch, sodass ein Entkommen aus der allgemeinen (Fabrikarbeiter), aber auch gegenwärtigen Situation (Treffen mit dem unbekannten Menschen auf der Straße) unmöglich erscheint. Dieser Zorn, vielleicht auch ein Ergebnis des Selbsthasses, entlädt sich (vorerst) in einem geballten Atem (V.8). Eine endgültige Eskalation in physischer Gewalt bleibt dementsprechend aus.

Mit dem ersten Terzett beginnt im klassischen Sonett auch die typische Zäsur. Diese ist im Gedicht zwar vorhanden, im Vergleich zu anderen expressionistischen Gedichten aber noch relativ Milde.

Die Situation wirkt so überfordernd für das lyrische Ich, dass es den Moment mit einer Zuchthauszelle vergleicht (V.9) und das Gedachte sprichwörtlich einfriert (V.10). Beide Personen setzen an dem Moment, wo sie aneinander begegnen, ihre Gesichtsfassaden auf und erscheinen homogen mit den gebauten Fassaden im Hintergrund. Insgesamt tritt eine totale Entmenschlichung ein, in der das individuelle einem allgemeinem Standart weichen muss.

Diese Last der Lethargie liegt dabei nicht nur auf dem armen Arbeitervolk, dass zur Zeit des Expressionismus zahlenmäßig stark war. Auch jene die in der Gesellschaft einen besseren Arbeitsplatz/Rang hatten, waren von dieser weitreichenden Apathie betroffen (V.12). Das Purpur steht stellvertretend für Macht, die zu dieser Zeit hauptsächlich den reichen Fabrikbesitzern galt. Büßerhemden sind symbolische Übertragungen für die Arbeiter, sodass entsprechend die kollektive Gleichgültigkeit alle Gesellschaftsschichten betraf. Am Ende des Gedichtes fixiert sich alles auf eine Pointe mit Gott als religiösem Element. Ein ewiger und von Gott gewollter Bann (V.14) lastet auf den Menschen und drückt mit einem nicht haltbaren Gewicht auf der Gesellschaft. Zech sucht förmlich nach einem erklärbaren Grund, weshalb sich die Menschen so desinteressiert verhalten und stellt eine gewagte Hypothese in den Raum.
Die eigentlich klar definierten Schichten in den Fabriken werden zu einem endlosen Zeitraum (V.14) aus dem es kein Entkommen mehr gibt. Das Leben des Fabrikarbeiters besteht demnach nur noch aus Arbeit und komplettiert das Bild der Eintönigkeit, Monotonie und des ewigen Kreislaufs des expressionistischen Menschen.

Betrachtet man die verwendete Wortwahl von Paul Zech, fallen zwei größere Wortfelder auf. Typisch für die Thematik des Gedichtes und den Zeitgeist des Expressionismus steht die Stadt (Mauern, Straße, Bahnspur, Fassade) und der Mensch (Blick, Mark, Atem, Denken) im Vordergrund.
Bedrohlich wirken dabei die vielen Adjektive im Gedicht, die die enge und hoffnungslose Situation noch unterstreichen (wassernass, kalt, hart, turmhoch, geballt, uhrenlos, riesig).

Stilistisch verwendet Zech zahlreiche Rhetorische Figuren. Am Häufigsten kommt in den 14 Zeilen dabei das Enjambement zur Verwendung (1,2,5,6,9,10,13). Vervollständigt werden sie durch Interpunktionen, hauptsächlich in der ersten Strophe. Diese vielen Zeilensprüngen und Interpunktionen sind störend und erschweren es, einen Leserhythmus zu finden. Des Weiteren lassen sich mehrere einzelne Figuren finden, darunter eine Alliteration (V.1 "Gras und Glas"), eine Onomatopoesie (V.3 "keine Bahnspur surrt"), Metaphern (V.5 "trifft sein Blick"; "Atem wolkt geballt") oder ein Symbolismus (V.12 "Purpur oder Büßerhemd). Diese Vielfalt erzeugt eine überzeugende Abwechslung und Übertragung der Intention, seitens von Paul Zech.

Beziehe Ich meine Interpretationsergebnisse auf die anfängliche Interpretationshypothese, komme ich zu dem Ergebnis das meine Vermutungen zutrafen.
In seinem Sonett beschreibt Paul Zech eine Fabrikstraße auf der sich zwei unbekannte Personen begegnen. Jedoch erscheit der Hintergrund ein ganz anderer. Wie auch andere Expressionistische Lyriker (z.B. Heym, Trakl, Wolfenstein) die sich intensiv mit dem Thema Stadt befasst haben, schrieb auch Paul Zech, Stadtorientierte Lyrik. Dabei kritisiert Er auf den ersten Blick Anonymität, Desinteresse und Gefühlskälte seiner Mitmenschen. Im Vordergrund stehen für ihn aber die unwürdigen Arbeitsverhältnisse der Fabrikarbeiter. Ausgebeutet und ausgenutzt von den Fabrikbesitzern mussten sie z.T. 17 Stunden für einen Hungerlohn arbeiten. Diese Monotonie trifft Zech im letzten Vers mit der "uhrenlosen Schicht" genau auf den Punkt.
Die Unruhe und Kritik wird darüber hinaus vor allem durch die Interpunktionen und die verhältnismäßig vielen Enjambements deutlich. Sie lassen die einzelnen Aussagen konzentrierter und kritischer wirken, als ein "tadelloser" und förmiger Text.

Weiterführende Links
Biographie: Paul Zech
Der Expressionismus