Das Gedicht "Fabrikstraße Tags" von Paul Zech 1911 veröffentlicht, handelt von dem monotonen
und einseitigem Leben als Fabrikarbeiter. Dem Jahr der Veröffentlichung zu Folge ist das Gedicht
dem Expressionismus zuzuordnen.
Nach meinem ersten Leseverständnis will Paul Zech mit seinem Gedicht die Eintönigkeit und Tristesse,
sowie die Gefühlskälte von zwischenmenschlichen Beziehungen zur Zeit des Expressionismus, darstellen.
In der ersten Strophe wird eine grobe Übersicht über den Ort gegeben. Das lyrische Ich befindet sich
auf einer eintönigen und ruhigen Fabrikstraße. Strophe zwei schildert daraufhin einen Mensch der dem
lyrischen Ich begegnet. Wie kühl und desinteressiert die beiden Personen aneinander passieren, verdeutlicht
das erste Terzett. Das diese Gleichgültigkeit alle Gesellschaftsschichten betrifft und nicht nur ein seltenes
Phänomen ist, gibt die letzte Strophe ausdrucksstark wieder.
Das Sonett besteht aus insgesamt 14 Versen und gliedert sich in jeweils zwei Quartette und Terzette. In den
Quartetten liegt ein umarmender Reim und in den Terzetten eine Variation des umarmenden Reimes vor. Im Kollektiv
betrachtet lautet das Reimschema abba, cddc, eff, egg. Darüber hinaus ist das Metrum ein fünfhebiger Trochäus
(betont, unbetont) und die Kadenzen sind männlich.
Das Gedicht beginnt mit der nüchternen Beschreibung der Umgebung, wo sich das lyrische Ich aufhält.
Einheitliches Mauerwerk (V.1) umgibt den Standort der Fabrikstraße und lässt damit keinen Platz für die
Natur (V.1). Diese scheint für den Verfasser aber von Bedeutung, weil er sonst auf die Nennung von Gras
verzichtet hätte. Es wirkt fast so als sehne sich das lyrische Ich nach etwas Abwechslung aus dem monotonen
Arbeitskreislauf in der Fabrik und dem täglich kongruierendem Bild der Mauern. Selbst Fensterglas (V.1) wäre
eine erhoffte Abwechslung auf den langen Fassaden die sich zusammen mit der Straße (V.2) endlos durch die
anthropogene Landschaft ziehen (V.2). Sogar die Bahn, die für neue Menschen und aktuellere Kommunikationsthemen
sorgen würde, hat ihre Fahrt in dieses trostlose Gebiet eingestellt (V.3). Jeder Tag ist identisch mit dem
vorherigen, dass selbst die Hoffnungsbringende Sonne die Pfützen auf den Straßen nicht mehr trocknen will/kann (V.4).
Dieses Phlegma wird auch in der folgenden Strophe zwischen den Menschen deutlich. Die Personen auf die man trifft,
begegnen sich teilnahmslos (V.5). Vermutlich ist die Fassade eines jeden ein Selbstschutz, denn es wirkt als
hätten die Menschen zur Zeit des Expressionismus Angst vor der Kommunikation mit fremden Menschen, um sich dem
Gegenüber nicht zu Offenbaren. Stattdessen geht man Schweigend an seinem Gegenüber vorbei und verletzt unwissend
den anderen, in dem Glauben, der andere sei Emotionskalt.
So trifft man sich Gegenseitig bis ins Mark (V.6) ohne es zu wissen und begegnet seinen Mitmenschen frigid und
feindlich gesinnt (V.6-7). Die langen Zäune (V.7) sind plötzlich nicht mehr nur noch lang, sondern auch turmhoch,
sodass ein Entkommen aus der allgemeinen (Fabrikarbeiter), aber auch gegenwärtigen Situation (Treffen mit dem
unbekannten Menschen auf der Straße) unmöglich erscheint. Dieser Zorn, vielleicht auch ein Ergebnis des Selbsthasses,
entlädt sich (vorerst) in einem geballten Atem (V.8). Eine endgültige Eskalation in physischer Gewalt bleibt
dementsprechend aus.
Mit dem ersten Terzett beginnt im klassischen Sonett auch die typische Zäsur. Diese ist im Gedicht zwar vorhanden,
im Vergleich zu anderen expressionistischen Gedichten aber noch relativ Milde.
Die Situation wirkt so überfordernd für das lyrische Ich, dass es den Moment mit einer Zuchthauszelle vergleicht
(V.9) und das Gedachte sprichwörtlich einfriert (V.10). Beide Personen setzen an dem Moment, wo sie aneinander
begegnen, ihre Gesichtsfassaden auf und erscheinen homogen mit den gebauten Fassaden im Hintergrund. Insgesamt
tritt eine totale Entmenschlichung ein, in der das individuelle einem allgemeinem Standart weichen muss.
Diese Last der Lethargie liegt dabei nicht nur auf dem armen Arbeitervolk, dass zur Zeit des Expressionismus
zahlenmäßig stark war. Auch jene die in der Gesellschaft einen besseren Arbeitsplatz/Rang hatten, waren von
dieser weitreichenden Apathie betroffen (V.12). Das Purpur steht stellvertretend für Macht, die zu dieser Zeit
hauptsächlich den reichen Fabrikbesitzern galt. Büßerhemden sind symbolische Übertragungen für die Arbeiter,
sodass entsprechend die kollektive Gleichgültigkeit alle Gesellschaftsschichten betraf.
Am Ende des Gedichtes fixiert sich alles auf eine Pointe mit Gott als religiösem Element. Ein ewiger und von
Gott gewollter Bann (V.14) lastet auf den Menschen und drückt mit einem nicht haltbaren Gewicht auf der Gesellschaft.
Zech sucht förmlich nach einem erklärbaren Grund, weshalb sich die Menschen so desinteressiert verhalten und stellt
eine gewagte Hypothese in den Raum.
Die eigentlich klar definierten Schichten in den Fabriken werden zu einem endlosen Zeitraum (V.14) aus dem es kein
Entkommen mehr gibt. Das Leben des Fabrikarbeiters besteht demnach nur noch aus Arbeit und komplettiert das Bild der
Eintönigkeit, Monotonie und des ewigen Kreislaufs des expressionistischen Menschen.
Betrachtet man die verwendete Wortwahl von Paul Zech, fallen zwei größere Wortfelder auf. Typisch für die Thematik
des Gedichtes und den Zeitgeist des Expressionismus steht die Stadt (Mauern, Straße, Bahnspur, Fassade) und der Mensch
(Blick, Mark, Atem, Denken) im Vordergrund.
Bedrohlich wirken dabei die vielen Adjektive im Gedicht, die die enge und hoffnungslose Situation noch unterstreichen
(wassernass, kalt, hart, turmhoch, geballt, uhrenlos, riesig).
Stilistisch verwendet Zech zahlreiche Rhetorische Figuren. Am Häufigsten kommt in den 14 Zeilen dabei das Enjambement
zur Verwendung (1,2,5,6,9,10,13). Vervollständigt werden sie durch Interpunktionen, hauptsächlich in der ersten Strophe.
Diese vielen Zeilensprüngen und Interpunktionen sind störend und erschweren es, einen Leserhythmus zu finden.
Des Weiteren lassen sich mehrere einzelne Figuren finden, darunter eine Alliteration (V.1 "Gras und Glas"),
eine Onomatopoesie (V.3 "keine Bahnspur surrt"), Metaphern (V.5 "trifft sein Blick"; "Atem wolkt geballt")
oder ein Symbolismus (V.12 "Purpur oder Büßerhemd). Diese Vielfalt erzeugt eine überzeugende Abwechslung und
Übertragung der Intention, seitens von Paul Zech.
Beziehe Ich meine Interpretationsergebnisse auf die anfängliche Interpretationshypothese, komme ich zu dem
Ergebnis das meine Vermutungen zutrafen.
In seinem Sonett beschreibt Paul Zech eine Fabrikstraße auf der sich zwei unbekannte Personen begegnen. Jedoch
erscheit der Hintergrund ein ganz anderer. Wie auch andere Expressionistische Lyriker (z.B. Heym, Trakl, Wolfenstein)
die sich intensiv mit dem Thema Stadt befasst haben, schrieb auch Paul Zech, Stadtorientierte Lyrik. Dabei kritisiert
Er auf den ersten Blick Anonymität, Desinteresse und Gefühlskälte seiner Mitmenschen. Im Vordergrund stehen für ihn aber
die unwürdigen Arbeitsverhältnisse der Fabrikarbeiter. Ausgebeutet und ausgenutzt von den Fabrikbesitzern mussten sie
z.T. 17 Stunden für einen Hungerlohn arbeiten. Diese Monotonie trifft Zech im letzten Vers mit der "uhrenlosen Schicht"
genau auf den Punkt.
Die Unruhe und Kritik wird darüber hinaus vor allem durch die Interpunktionen und die verhältnismäßig vielen
Enjambements deutlich. Sie lassen die einzelnen Aussagen konzentrierter und kritischer wirken, als ein "tadelloser"
und förmiger Text.