Es ist alles Eitel (1637) - Andreas Gryphius

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Andreas Gryphius 1. Du siehst, wohin du siehst, nur eitelkeit auf erden.
2. Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;
3. Wo ietzundt städte stehn, wird eine Wiese seyn,
4. Auf der ein schäfers kind wird spielen mit den herden;

5. Was itzundt prächtig blüth, sol bald zutreten werden;
6. Was itzt so pocht und trotzt, ist morgen asch und bein;
7. Nichts ist, das ewig sey, kein ertz, kein marmorstein.
8. Jetzt lacht das glück uns an, bald donnern die beschwerden.

9. Der hohen thaten ruhm muß wie ein traum vergehn.
10. Soll denn das spiel der zeit, der leichte mensch bestehn?
11. Ach, was ist alles diß, was wir vor köstlich achten,

12. Als schlechte nichtigkeit, als schatten, staub und Wind,
13. Als eine wiesen blum, die man nicht wieder find't!
14. Noch wil, was ewig ist, kein einig mensch betrachten.

Gedichtprofil

Allgemein
Name: Es ist alles Eitel
Autor: Andreas Gryphius
Veröffentlicht: 1637
Epoche: Barock
Art: /

Formal
Verse: 14
Strophen: 4
Metrum: sechshebiger Jambus
Reimschema: abba, abba, ccd, eed
Reimart: umarmender Reim und Schweifreim
Kadenz: männlich und weiblich

Sprachlich/Stilistisch
Wortfelder: Mensch, Natur
Adjektive: eitel, prächtig, donnernd, köstlich, schlecht
Tempus: Präsens
Stilmittel: Antithesen (V.2, 3, 5, 6, 8, 9), Allegorie (V.4), Anapher (V.5-6, 12-13), Asyndeton (V.7, 12), Synästhesie (V.8), Onomatopoesie (V.8), Personifikation (V.8), Akkumulation (V.12), Metapher (V.13)

Erzähler
Lyrisches Ich: Nein
Perspektive: auktorial
Haltung: unbekannt

Analyse und Interpretation


In dem Gedicht "Es ist alles Eitel" 1663 von Andreas Gryphius veröffentlicht, wird das barocktypische Motiv der Vergänglichkeit aufgefasst. Das Sonett beschreibt die Nichtigkeit von Menschen, von Menschengeschaffenem und von der Natur.

Nach meinem ersten Leseverständnis vertritt Gryphius die epochentypische Ansicht eines Menschen im Barock. Neben der Auffassung, dass nichts auf der Erde ewig von Bestand ist, erhoffen sich die Menschen nach ihrem Tod die damit erwartende Ewigkeit, auch wenn es in dem vorliegenden Gedicht nur sehr vage angedeutet wird.

Das klassische Sonett, welches Gryphius anwendet, besteht aus 14 Versen, aufgeteilt in je zwei Quartette (umarmender Reim), sowie zwei Terzette (Schweifreim). Metrisch betrachtet liegt ein sechshebiger Jambus vor, der nach der sechsten Silbe eine Mittelzäsur aufweißt. Dieser Alexandriner wird streng und durchgehend nach dem Idealbild der Barocklyrik verwendet.
Die Kadenzen richten sich nach dem Reimschema des Gedichts: abba, abba, ccd, eed. Reimen sich also Vers 1 und 4, ist deren Kadenz identisch (weibliche Kadenz). Das selbe gilt für die Verse 2 und 3 (männliche Kadenz).

Betrachtet man zu Beginn der Interpretation die Überschrift, fällt bereits die Verzweiflung des lyrischen Ichs auf. Aus der subjektiven Sicht des Verfassers, lässt das unbestimmte Numeral "alles" auf eine prekäre Lage schließen. Inwieweit sich dies auf den Rest der damaligen Bevölkerung beziehen lässt, ist natürlich schwer zu deuten. Jedoch ist das Veröffentlichungsjahr von 1643 ein eindeutiges Indiz auf eine beunruhigende Situation in der Bevölkerung. Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) wütete bereits seit 25 Jahren und hinterließ eine Spur der Zerstörung in Deutschland (ungleich den Grenzen des heutigen Deutschlands). Anzumerken ist ebenfalls, dass das Wort "Eitel", zu jener Zeit nicht als Synonym für Arrogantheit oder Hochnäsigkeit stand, sondern viel mehr die Nichtigkeit alles Irdischen beschrieb.

Vers 1 des Gedichtes knüpft unmittelbar an die Überschrift an und geht mit einer direkten Ansprache ("Du" V.1) auf den Leser ein. Dieser Aufruf wird durch eine zweites "du" verdeutlicht und legt den Schwerpunkt auf die Aussage nach der Mittelzäsur. Die "Eitelkeit auf Erden" (V.1) steht als zentrales Motiv hinter dem Gedicht und entspricht dem Vanitas (Vergänglichkeit, Nichtigkeit) Gedanken, eines der drei zentralen Motive des Barock. Die folgenden Verse 2-3 stellen antithetisch die Gegenwart mit der Zukunft in gegensätzliche Verbindung. Was heute noch als gut empfunden wird (V.2), oder von Menschen geschaffen wurde (V.3), dem wird später keine Bedeutung mehr zukommen. Zum einen, weil die Nachfolgegeneration alle Taten ihrer Väter für nutzlos ansieht und zum anderen, weil die Natur sich ihren Raum zurückholen wird. Gryphius hält sich im zweiten Vers mit der Deklination der Personen bedeckt und tituliert sie mit "dieser" und "jener". Das spricht für eine Generalisierung der Ereignisse in Mitteleuropa und unterstützt die These, dass Deutschland momentan einem Trümmerfeld gleicht. Im dritten Vers lassen sich so die Städte, aus denen später Wiesen werden, auch anders deuten. Demnach sind die Menschen für ihre Vergänglichkeit, zumindest die ihrer Bauwerke, selbst verantwortlich.
Der vierte Vers nimmt im ersten Quartett eine besondere Stellung ein, weil er als religiöse Allegorie an eine Passage des Johannes Evangelium (Kapitel 10; Der gute Hirte1) anknüpft. Um diese Szenerie richtig zu deuten, müssen erst die zeitlichen Abfolgen in der ersten Strophe klar definiert werden. Stehen Vers 1 und die Versanfänge der Verse 2 und 3 bis zur Mittelzäsur in der Gegenwart, stellen die Versenden 2 und 3 (nach der Mittelzäsur), sowie der gesamte vierte Vers einen Blick in die nahe Zukunft dar. Rein äußerlich erinnert dies an Schlüssel und Schloss, die perfekt ineinander Übergreifen. Auf die Zeit des Barock bezogen ist es jedoch nur ein Merkmal, die Gedichte möglichst kunstvoll aufzubauen. Das Schäfers Kind (V.4) könnte eine Wunschvision an ein ruhiges Miteinander nach dem Krieg sein. Der Hirte (in dem Gedicht noch ein junges Kind) als zukünftiger Heilsbringer, der in seine Aufgabe hineinwachsen muss, um dann den Frieden im Land wieder herzustellen. Nach dieser Theorie stellt die Herde logischerweise das Volk dar, auf das der Hirte später aufpassen wird.

Beginnend mit dem zweiten Quartett wird das harmonische Bild des Hirten samt seiner Schafe wieder zerstört, als unterliege alles der Vergänglichkeit. Interessant ist erneut die innere Gliederung der Strophe, auf die Gryphius zurückgreift. Zuerst wird abermals auf die Nichtigkeit der Natur eingegangen, die schon in den Versen 2 und 3 Thema war. In Vers 6 gerät dann zum ersten Mal der Mensch in den Fokus der Vergänglichkeit. Was Gryphius als "pochend" und "trotzend" (V.6) beschreibt, sind eindeutige Merkmale für einen lebenden Menschen. In sich schlüssig scheint auch die Anordnung der beiden Adjektive zu sein, denn der sechste Vers versteht sich als Kritik am Dreißig-Jährigen-Krieg. Die Menschen haben gerade noch soviel zu essen, damit ihre Vitalfunktionen erhalten bleiben (das pochende Herz). Es pocht so stark, weil der langandauernde Hunger die Menschen in sich auszehrte und bis auf die Knochen abmagern ließ. Dadurch ist das Pochen der hungernden Menschen die lauthals gegen den Krieg und seine Folgen trotzen (V.6), mit bloßem Auge zu erkennen. Der nächste Vers wechselt wieder auf die Natur und bringt handfeste Beispiele für Vergänglichkeit. So sind sogar die Naturalien Erz und Marmorstein (V.7), die zur damaligen Zeit als unzerstörbar galten, nicht für die Ewigkeit bestimmt.

Das Gedicht ist klimaxartig aufgebaut und steigert sich zunehmend. Erscheint in Strophe 1 noch alles Menschengeschaffene vergänglich, zerstört der Mensch in Strophe 2 die Natur, als mögliches Resultat, weil die eigenen Dinge schon zerstört wurden? Das einst positive Bild des Schäfers (V.4) wird komplett ersetzt durch ein Emblem der Zerstörung (V.6 "asch und (ge)bein).
Der letzte Vers des zweiten Quartettes, bildet neben den eigenständigen Terzetten, eine eigene Synthese und fasst das Motiv der Vergänglichkeit erneut auf. "Glück" (V.8) wird personifiziert und als lebende Gestalt dargestellt, die ebenso schnell verschwinden wird, wie sie kam. Antithetisch stellt Gryphius dem Glück eine Synästhesie aus "donnernden Beschwerden" gegenüber. Dabei werden zwei unterschiedliche Sinneseindrücke (donnernd = hören ; Beschwerden = fühlen) miteinander in Verbindung gesetzt, um das Leid zu verdeutlichen. Letztendlich beabsichtigt der Verfasser die darzustellen, dass schöne Dinge morgen schon wieder zu Ende sein können.

Mit Beginn der Terzette wird der sonetttypische, inhaltliche Bruch deutlich.Herrschte im ersten Teil des Gedichtes noch eine beschreibende Perspektive, wechselt die Sichtweise nun auf einen bewertenden Standpunkt, als hätte sich das lyrische Ich nun verselbständigt. Deutlich wird dies vor allem durch neue Interpunktionen an den Versenden. So wird neben einem Fragzeichen (V.10) auch ein Ausrufezeichen (V.13) verwendet, was insgesamt einer sprechähnlichen Betonung nahe kommt. Des Weiteren beweist die Interjektion in Vers 11 ("ach), dass sich zweifellos das lyrische Ich in der Rolle des betroffenen "zu Wort meldet".

Mit Blick auf Die Antithetik, setzt sie sich auch in den Terzetten weiter fort. So heißt es in Vers 9, dass aller "Ruhm" (V.9) wie ein "Traum" (V.9) vergehen wird. Durch den Vergleich wird Prestige in Verbindung mit Irrealität, Illusion und Wunschdenken gesetzt und damit vollends entkräftet. Demnach hatten Ruhm und Ansehen in der Situation, die 1637 (bei der Gedichtveröffentlichung) herrschten, keinen Nutzen mehr, denn mit dem Krieg kam auch der Verlust der alten Grundordnung. Reiche und angesehene Leute waren kurzerhand arm und mittellos, sodass die Lebenseinstellung Carpe Diem (Nutze den Tag) für viele schnell haltlos wurde. Im "Spiel der Zeit" (V.10) ging es für viele ums Überleben, indem der "leichte Mensch" (V.10) seine Entscheidungen zu treffen hatte und immer mit den Konsequenzen unmittelbar konfrontiert wurde. Diese Metapher klärt auf, dass, egal wie man seinem Schicksal zu entfliehen versucht, letztendlich verlieren wird, da die Zeit im Gegensatz zum Menschen, der mit der Zeit vergänglich wird, unendlich ist.

Das letzte Terzett (V.12) beginnt mit einer Akkumulation. Gryphius zählt drei kurzlebige Nomen (Schatten, Staub und Wind) auf, die als Synonym für Nichtigkeit gelten. Bezogen auf den Staub erinnert dies an das barocktypische Symbol der Sanduhr2, die auf die Flüchtigkeit des Zeitlichen verweist und an die Thematik von Vers 9 anknüpft.
Die "wiesen blum" aus Vers 13 kann man in direkte Verbindung mit dem fünften Vers setzen. (Was itzundt prächtig blüth, sol bald zutreten werden) Es sagt aus, wie auch die gesamte Antithetik im Gedicht, dass die schönen Dinge im Leben allesamt vergänglich sind. Die Wiesenblume symbolisiert ebenfalls das Glück (V.8) das im ersten Moment noch da zu sein scheint, auf den zweiten Blick aber schon wieder verschwunden ist. (die man nicht wieder find't).

So kommt das lyrische Ich zu dem Schluss, dass die Ewigkeit für keinen Menschen im Diesseits vorstellbar ist, weshalb ein Betrachten auch noch unmöglich erscheint (V.14). Diese Pointe widerspricht z.T. dem Memento mori Gedanken, weil noch kein Mensch in der Lage ist auf das zu schauen, was nach dem Tod kommt. Auf der anderen Seite könnte die Aussage auch bedeuten, dass es auf der Welt nichts zu betrachten gibt, was ewig von Bestand ist. Der Vers 14. lässt sich aufgrund des Verbs "will" nur sehr schwammig deuten, weil beide Interpretationsansätze in Betracht kommen.

Zusammenfassend lässt sich über das Gedicht formulieren, dass es ein absolut typisches Gedicht für die Epoche des Barock ist. Andreas Gryphius behandelt in seinem Sonett das Motto der Vanitas, die ihm selber Tag für Tag selbst widerfuhr. Bereits im Kindesalter starben seine Eltern. Mit etwa 25 Jahren verlor er dann binnen kurzer Zeit seinen Bruder Paul, sowie seine Schwester Anna-Maria3. Die Vergänglichkeit allen menschlichen Schaffens und Strebens ist ein Kennzeichen seiner Gedichte, die neben dem Werk Martin Opitz', einen großen Platz in der Barocklyrik einnehmen. Rein formal betrachtet richtet sich Gryphius nach den von Opitz vorgegebenen Richtlinien zum Verfassen von Sonetten. Während des Barocks war nicht die Aussage oder der Inhalt von höchster Bedeutung, sondern vielmehr die Präsentation. Nebenbei interessant ist die Quelle der Inspiration, die Andreas Gryphius (bekennender Protestant) sich zunutzen machte. Im Alten Testaments des Buches Kohelets4 übersetzte Martin Luther "Es ist alles nichtig" zu "Es ist alles eitel".

Weiterführende Links
Biographie: Andreas Gryphius
Der Barock
Tränen des Vaterlandes - Andreas Gryphius

Quellen