Traut man Kafkas Tagebucheinträgen wurde "Das Urteil", 1912 in der Nacht vom 22. auf den 23. Dezember verfasst.
Darin fasst er wie auch in "Die Verwandlung" seinen Vater-Sohn Konflikt auf und versucht ihn zu verarbeiten.
Parallelen zwischen der Realität Kafkas und seiner Kurzgeschichte "Das Urteil" sind eindeutig zu erkennen. Während in
der Realität Kafka vor einer Hochzeit mit Julie Wohryzeck stand (die aber nie stattfand), die von seinem Vater mit
absolutem Hass aufgenommen wurde, ist im Urteil Georg Bendemann vor einer Verlobung, die ebenfalls in einen
heftigen Konflikt zwischen Vater und Sohn ausartet.
In "Die Verwandlung", die auch ein Synonym für den Konflikt in der Erzählung ist, artet der Hass zwischen
Vater und Sohn zuerst auf psychischer Ebene aus, indem der Vater gehässig zu seinem Sohn wird und ihn
später ganz ignoriert und meidet. Später dann als der Vater seinen Sohn mit Äpfeln beschmeißt, geht
er dann zu "körperlicher" Gewalt über.
So könnte man auch dass Verhältnis zwischen Kafka und seinem Vater Hermann deuten. Ich vermute, dass
dieser ihn zuerst auf psychischer Ebene provozierte und später handgreiflich wurde.
Des Weiteren spricht Kafka in "Das Urteil" im letzten Satz von "In diesem Augenblick ging über die Brücke ein geradezu
unendlicher Verkehr". Offen steht jetzt zuerst, ob er sich in einen Fluss oder auf eine Straße gestürzt hat und
sekundär dann was er mit diesem Satz gemeint hat. Die erste Frage lässt sich klar deuten, denn im Text steht
"Aus dem Tor sprang er, über die Fahrbahn zum Wasser trieb es ihn. (…) erspähte zwischen den Geländerstangen
einen Autoomnibus, der mit Leichtigkeit seinen Fall übertönen würde."
Meint, dass er sich wohl in einen Fluss gestürzt hat. Nun aber zur zweiten Frage. Ein "geradezu unendlicher Verkehr"?
Der Autoverkehr unterhalb der Brücke kommt nicht in Frage, denn er wartete auf einen Autoomnibus, und wenn er
wartete heißt es ja das diese nicht Reihe an Reihe vorbeifuhren. Auf der Brücke bezweifle ich ebenfalls regen
Autoverkehr, mitten in der Nacht, um das Jahr 1900 hatten nur wenige Leute ein Auto. Bleibt eigentlich nur
noch der unendliche "Verkehr" von Prostituierten die auf der Brücke ihre Geschäfte treibten.
Übrig bleibt noch die Frage, ob Gregor Samsa in "Die Verwandlung" sich nun Sciencefiction-artig in einen Käfer
verwandelt hat. Dafür spricht seine Käferartige Verhaltens-Charakteristik (Essen von verfaulter Nahrung, Wohnen
im Dunkeln etc.), seine Tierartige Stimme und die Körpersäfte die er zurücklässt. Dagegen ist jedoch, noch die
auffällige Intelligenz (trotz des Käfer Daseins, bekommt er das meiste noch genau mit).
Unschlüssig sind die Reaktionen seiner Mitmenschen. Man hat das Gefühl als würden sie ihn als Käfer bezeichnen,
jedoch wagt es niemand ihn so zu bezeichnen. In extremen Fällen bezeichnen sie ihn als "es" aber nie als Käfer.
Jedoch hat Kafka das Vokabular so geschickt gewählt (Bsp. "Seine vielen Fühler (…) ), dass man das Gefühl
bekommt, Gregor sei ein Käfer.
Übrigens, die Verwandlung wurde auch verfilmt. Jedoch konnte man die "Metamorphose" von Gregor nie sehen,
da in diesen Szenen geschickt aus der Sicht von Gregor die Kameraposition stand. Also bleibt die Frage offen
und lässt weiteren Interpretationsspielraum.
Man sollte den Titel "Die Verwandlung" auch wörtlich für die anderen Charaktere nehmen. Denn nicht nur Gregor
verändert sich. Am Anfang ist er zwar noch ein selbstbewusster Mann, der für seine Familie arbeitet und so
ihr den Lebensunterhalt verdient, im Laufe der Geschichte wird er aber immer mehr zum Pflegefall und seine
Familie beginnt "für ihn" zu arbeiten.
Das genaue Gegenteil ist dagegen sein Vater, er ist am Anfang der schwache und wird mit der Zeit immer
stärker und übernimmt die Überhand über seinen Sohn. Dasselbe gilt für seine Schwester, die am Anfang
noch die schwächste im Familienglied ist, wird sie immer stärker und bekommt immer mehr an Anerkennung von ihrer Familie.
Zu guter letzt noch ein Hinweis auf "Das Urteil". Wenn man genau schaut, erkennt man in Georg Bendemann die
Familienverhältnisse Kafkas so wie Franz sie sich wünschen würde. Jedoch trifft das nur auf den ersten Teil
zu, indem der Vater abhängig von seinem Sohn ist. Zum Teil erkennt man aber auch die Person Franz Kafka, in dem
fernen Freund in Russland, Das ist die Person die Kafka in Wirklichkeit ist. Erfolglos und Isoliert.
Kafkas Ziel war es, unabhängig und selbständig und ohne Beeinflussung seiner Eltern, ein eigenständiges Leben zu führen.
Genug interpretiert und gedeutet. Da sich die beiden Kurzgeschichten ähneln, werde ich sie als Gesamtwerk bewerten.
Als ich das Buch las, dachte ich auch zuerst dass alle Kapitel zu einem Ganzen zusammengehören. Auf dem
Cover des Buches steht zwar beschriftet "Das Urteil", doch innerhalb des Buches befinden sich mehrere
Kurzgeschichten. Passt man nicht genug auf, so wie meine Wenigkeit, denkt man schnell, dass "Das Urteil"
und "Die Verwandlung" zusammengehören, weil die Geschichten perfekt in einander übergreifen. Die ähnlichen
Namen der beiden Hauptcharaktere Georg und Gregor verstärken bei Unaufmerksamkeit diese Wirkung zusätzlich.
Des Weiteren ist alles so prägnant und fachlich verfasst, dass man zu keinem Zeitpunkt denken könnte, dass dort
überflüssige und scheinbar aufgeblähte Texte stehen. Dem Lese-Laien kommt der Stil der Erzählungen wahrscheinlich
depressiv und kafkaesk rüber, aber wer einen Krimi haben will, sollte besser sonntags 20:15 auf ARD Tatort gucken.
Man kann sich mit vollem Bewusstsein in Kafkas Situation hineinversetzen, wie er Nacht um Nacht an
seinen Geschichten pfeilt und versuchte der Problematik mit seinem Vater aus dem Weg zu gehen.
Mit viel Niveau und Metaphorik erreicht Kafka eine einmalige, unbeschreibliche, facettenreiche Wirkung auf den geneigten Leser.
Niveau: |
Hohes Niveau |
Verständlichkeit: |
Sehr gut verständlich |
Unterhaltungswert: |
Gutes Buch |
Spannung: |
Kaum Spannung |
Fazit: |
Zum weiterempfehlen |