Die Stadt (1911) - Georg Heym

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Georg Heym 1. Sehr weit ist diese Nacht. Und Wolkenschein
2. Zerreißet vor des Mondes Untergang.
3. Und tausend Fenster stehn die Nacht entlang
4. Und blinzeln mit den Lidern, rot und klein.

5. Wie Aderwerk gehn Straßen durch die Stadt,
6. Unzählig Menschen schwemmen aus und ein.
7. Und ewig stumpfer Ton von stumpfem Sein
8. Eintönig kommt heraus in Stille matt.

9. Gebären, Tod, gewirktes Einerlei,
10. Lallen der Wehen, langer Sterbeschrei,
11. Im blinden Wechsel geht es dumpf vorbei.

12. Und Schein und Feuer, Fackeln rot und Brand,
13. Die drohn im Weiten mit gezückter Hand
14. Und scheinen hoch von dunkler Wolkenwand.

Gedichtprofil

Allgemein
Name: Die Stadt
Autor: Georg Heym
Veröffentlicht: 1911
Epoche: Expressionismus
Gattung: Stadtlyrik

Formal
Verse: 14
Strophen: 4
Metrum: fünfhebiger Jambus
Reimschema: abba, cddc, eee, fff
Reimart: Umarmender Reim, Endreim
Kadenz: männlich

Sprachlich/Stilistisch
Wortfelder: Wetter, Mensch
Adjektive: rot, klein, stumpf, matt, eintönig
Tempus: Präsens
Stilmittel: Enjambement (V.1-2,3-4,7-8,13-14), Hyperbel (V.3), Personifikation (V.3,4), Vergleich (V.5), Verdinglichung (V.6), Paralellismus (V.7)

Erzähler
Lyrisches Ich: Nein
Perspektive: Auktorial
Haltung: kritisch

Analyse und Interpretation


Das Expressionistische Gedicht "Die Stadt" von Georg Heym 1911 verfasst, handelt von dem monotonen und öden Großstadtleben.

Nach meinem ersten Leseverständnis beschreibt Heym in seinem Lyrischen Werk den sich täglich wiederholenden Ablauf der Menschen in der Stadt.

Das Gedicht gliedert sich in vier Strophen und insgesamt 14 Versen. Die ersten beiden Strophen sind Quartette und die letzten beiden Terzette, sodass eindeutig ein Sonett vorliegt.
Das Reimschema lautet: abba, cddc, eee, fff. Daraus folgt, dass in den Quartetten ein umarmender Reim und in den Terzetten ein Endreim vorliegt.
Metrisch gesehen ist das Gedicht ein fünfhebiger Jambus (unbetont, betont). Die Kadenzen sind ausnahmslos männlich.

Strophe 1 beschreibt die Stadt im kollektiv, als Aneinanderreihung von blinkenden Fenstern. Die folgende Strophe fasst die Unübersichtlichkeit und Unsymmetrie der Stadt auf. Viele Menschen bewegen sich in ihr aber jeder ist dabei vollkommen Anonym. Geburt und Tod sind ebenso von keiner Bedeutung, denn sie wirken wie ein ewiger Kreislauf in Strophe 3. Die letzte Strophe endet apokalyptisch mit dem Feuer, was in der ferne schon wartet.

Das Gedicht beginnt mit Vers 1 mit der Beschreibung der Nacht, die durch das Wort "weit", endlos erscheint. Die Wolken zerreißen sich geradezu vor dem Anblick des Mondes, was der ganzen Szenerie noch mehr Dramaturgie verleiht (V.2). In Vers 3 beginnt Heym dann mit der Beschreibung der Stadt an sich, die durch die tausenden Fenster (Hyperbel), die sich aneinander reihen, monotoner nicht wirken könnte. Personifiziert wird das ganze im vierten Vers durch die Augenlider, die stellvertretend für die Lichter in den Fenstern stehen, die an- und ausgeschaltet werden. Dabei wirken die Lichter alle identisch rot und klein (V.4).
So wird in der ersten Strophe schon deutlich, was Georg Heym an der Stadt stört. Ihm missfällt die absolute städtebauliche Gleichheit.

Im Gegensatz dazu stehen die unübersichtlichen Straßen, auf denen chaotische Zustände herrschen (V.5). Eine Vielzahl von Menschen die durch die Stadt reisen, wirken durch das Wort "schwemmen" (V.6) unwichtig und unbedeutend. Selbst jene, die aus fernen Städten kommen und die Stadt wieder verlassen, haben sich bzw. mussten sich, an diese Anonymität anpassen (V.8). Die Stadt lässt die Menschen gefühlsmäßig abstumpfen und zwängt sie aus ihrem Individuum, in ein starres Kollektiv, wo jeder nur noch sich Selbst ein Begriff ist. (V.7)

Durch die besondere Form des Sonettes, gibt es zwischen den Quartetten und Terzetten einen Inhaltlichen Bruch. Während die Terzette, These und Antithese darstellt, folgt in den Quartetten eine Synthese. Also eine Zusammenfassung bzw. ein Ergebnis aus den Erkenntnissen und Schlussfolgerungen der Quartette.

Geburt und Tod wirken wie ein ewiger Kreislauf und das eigentliche Leben, was dazwischen sein sollte, fällt durch seine Unbedeutsamkeit ganz heraus (V.9). Zusätzlich stören die gebärenden Frauen durch ihre Schreie und jene, die dem Tode schon nahe sind, stören durch ihr jammern (V.10). Demzufolge wirkt alles überflüssig, weil die einzigen Leute die daran Notiz nehmen, jede sind, die sich daran Stören.

Die gesamte 4 Strophe ähnelt einem apokalyptischen Zustand (Weltuntergang). So nähert sich in Vers 12 das Feuer der Zerstörung auf die Stadt hinzu. Die Farbe rot, sowie das Wetter tauchen erneut auf, aber wirken diesmal bedrohlicher als in der ersten Strophe, sodass die vierte Strophe eindeutig die Synthese auf die erste Strophe darstellt.
Zusammenfassend für die vierte Strophe kann man sagen, dass sich eine Gefahr auf die Stadt hinzu bewegt. Ob Georg Heym den 1. Weltkrieg und seine mitbringende Zerstörung voraussah?

Hauptsächlich lassen sich in dem Gedicht Nomen finden, die den Wortfeldern Wetter (Wolkenschein, Mond, Nacht, Wolkenwand) und Mensch (Lider, Aderwerk, Gebären, Tod, Hand) zuzuordnen sind. Dies sind zugleich auch die beiden Themengebiete, mit denen sich Heym in seinem Gedicht "Die Stadt" lyrisch ausdrückt, um seine Intention zu verdeutlichen.

Die Adjektive (weit, rot, klein, stumpf, eintönig, matt, blind, dunkel) wirken allesamt Hoffnungslos und negativ. Auf das gesamte Gedicht bezogen ist so alles sehr kritisch.

Ein Lyrisches Ich lässt sich, wie auch in der Vielzahl der anderen Gedichte von Heym, nicht finden. Diese Subjektivität hat eine ausgewogene Neutralität in der Harmonie des Gedichtes zur Folge.

Stilistisch verwendet Heym eine Vielzahl von Rhetorischen Mitteln. Zahlreiche Zeilensprünge lassen sich im Gedicht finden (V. 1-2; 3-4; 7-8; 13-14). Personifikationen sind ebenfalls vorhanden (V. 4, "blinzeln mit den Lidern"; V.13 "mit gezückter Hand"). Die Personifikationen, sowie der Vergleich in Vers 5 (Aderwerk), hauchen dem ganzen Gedicht mehr Menschlichkeit ein, sodass es nicht starr und unlebendig wirkt. Zuletzt ist noch ein Parallelismus (V. 7 "stumpfer Ton von stumpfem Sein"), sowie eine Hyperbel (V.3 "tausend Fenster") von Bedeutung. Diese verstärken die Wirkung der Monotonie und Gleichheit heben sie explizit heraus. Insgesamt wirkt das Leiden so unendlich lang und Aussichtslos.

Setzt man die Interpretation mit der Interpretationshypothese in Verbindung, so wurde Ich bestätigt. Das lyrische Werk handelt über die Problematik der Gleichförmigkeit und des reizlosen Alltags, zu der Zeit des Expressionismus. Georg Heym kritisiert die negative Seite der Stadt und findet sich nicht mit der Bedeutungslosigkeit des Individuums ab. Zusätzlich ahnt er vermutlich, den Ersten Weltkrieg schon drei Jahre im voraus und sieht ihn als Gefahr für das Großstadtleben und seine Bewohner.
Heym will mit seinem Gedicht ausdrücken, dass die Menschen aufhören sollen, sich kantenlos in das Gesamtbild der Stadt einzufügen, um so einer laufenden Anonymisierung zuvor zu kommen.
Objektiv betrachtet stellt Heym auf eine unverwechsliche Art und Weise die Problematiken in der Großstadt dar, sieht aber keinerlei Zukunft in einem Leben in der Stadt.