Das Gedicht “Der Krieg“ von Georg Heym wurde kurz vor dem ersten Weltkrieg veröffentlichte und thematisiert den Krieg,
der langsam erwacht und schnell schrecklich wütet. Heym erzeugt eine Atmosphäre der Angst und der Gewalt, die vor allem
durch das Motiv des Feuers und der Hölle bestimmt wird. Es ist ein expressionistisches Gedicht, dass Heyms Vision des
nahenden Krieges zum Thema hat.
Das Gedicht besteht insgesamt aus 11 Strophen, die alle nach dem gleichen Schema aufgebaut sind: Es sind jeweils vier
Zeilen, die zwei Paarreime haben. Es gibt auch einen recht starren Rhythmus, der von Trochäen dominiert wird. Dadurch
wird die fließende Bewegung des Krieges zum Ausdruck gebracht.
In der ersten Strophe beschreibt der Autor die Auferstehung des Krieges und die dunkle Vorahnung, die das Land daraufhin
erfasst. Mit dem Parallelismus „Aufgestanden…“ bzw. der Inversion in Zeile 1 betont der Autor, dass der Krieg lange
verborgen war, er „schlief“, der Krieg wird personifiziert, in gewisser Weise vermenschlicht. Die Irrationalität und
Grausamkeit des abstrakten Kriegsbegriffs wird auf ein menschenähnliches Wesen projiziert und bleibt so rätselhaft,
wie eben auch das Verhalten des Menschen. Nun ist der Krieg „aufgestanden“ und zwar aus tiefen Gewölben. Unter der
Oberfläche, im Verborgenen hat er also die ganze Zeit über existiert und wird jetzt offenbar. Die ganze Zeit hat ihn
niemand erkannt, wie er auch jetzt noch kaum sichtbar „in der Dämmerung steht“. Er ist zwar groß, also mächtig, aber
schwer zu erkennen. Die Menschen haben also lange Zeit den drohenden Krieg nicht erkennen können und können es auch
jetzt, da er unmittelbar bevorsteht nicht recht erkennen. Der Krieg löscht das letzte bisschen Licht gewaltsam aus,
„mit schwarzer Hand“. Mit dem Mond zerstört der Krieg ein romantisches Motiv, raubt jede Illusion einer harmonischen
und pantheistischen Fantasierealität. So erscheint der Krieg wie ein gewalttätiger Titan, ein Monster aus „tiefen
Gewölben“, der dunkle, also schlechte und bedrohliche Zeiten bringt. Der Krieg taucht aber nicht aus dem Nichts auf,
sondern war immer existent, in den „Kellern“ des menschlichen Charakters und den dunklen, verborgenen Trieben.
Die zweite Strophe beschreibt die Reaktion der Menschen auf den nahenden Krieg. „Frost und Schatten“ lassen das
Leben erstarren. Der drohende Krieg lähmt die Menschen, sie sind aber ratlos und überrascht, hilflos der „fremden
Dunkelheit“ ausgeliefert. Das pulsierende Großstadtleben „runder Wirbel“ kommt zum Erliegen, der Lärm verstummt.
Der Alltag wird seinem geregelten Gang beraubt. Die Dynamik der Großstadt wird zur Bewegungslosigkeit,
zu Stillstand, lähmenden Entsetzen und Hilflosigkeit. Durch die kurzen, bzw. elliptischen Sätze in der
vierten Zeile macht Heym die Geschwindigkeit der Katastrophe und deren Konsequenz, die Verzweiflung und
wiederum deren Folgen, nämlich das hektische Suchen nach Antwort, nach Sicherheit und Gewissheit deutlich.
Strophe drei beschreibt die Auswirkungen des plötzlichen Einbruchs des Krieges auf die Stadt näher. „Es“,
eine unbestimmt Kraft, tippt den Menschen auf die Schulter, doch sind sie wehrlos, da sie das Phänomen und
Wesen des Krieges überhaupt nicht erfassen können, so spüren sie die Gefahr zwar, können ihr dennoch nicht
begegnen. Die Antithese „eine Frage“ „keine Antwort“ stellt die Ratlosigkeit der Bürger heraus. Die Folge
ist ein „Erbleichen“. Angst geht um: Ein Geläute, kündigt es Tod (in der Ferne) an?, „wimmert“, Bärte
zittern um ihr Kinn, d.h. die Menschen fürchten um das Elementare, das ihre Existenz ermöglicht. Der Subjekt-
Objekt Bezug wird umgekehrt, der Mensch verdinglicht. Er wird selbst zu einem Ding, einem Teil der
Kriegsmaschine. Es folgt daher auch keine Gegenmaßnahme, sondern nur ein Verharren in Passivität und Zögern.
Nun hört man von den Bergen den Ruf des Krieges, der seine Krieger ruft. Der Krieg wird als übermächtiges
Monstrum beschrieben, wirkt sehr archaisch in seiner Art. Heym baut eine Klangkulisse auf, die an Lautstärke
das „Wimmern der Geläute“ in der vorherigen Strophe bei weitem übertrifft. Der Krieg „schreit, tanzt, seine
laute Kette schallt“. Wieder wird das Kriegesmonster mit schwarzem Haupt gezeigt, der Farbe der Nacht. Er
hat sich mit seinen Opfern geschmückt und wirkt dadurch noch bedrohlicher. Heym weist hier auf die lange
und grausame Tradition von Krieg hin, der trotz zivilisatorischen Fortschritts nichts an primitiver Barbarei
eingebüßt hat. Der Zeilensprung im dritten Vers veranschaulicht anhand der Form den Inhalt: Das Schwenken
des Hauptes wird im eingerückten „er schwenkt“ sichtbar.
Die folgende Strophe beschreibt die Auswirkungen des Krieges: Zerstörung, Tod und Feuer. Der Krieg wird mit
einem Turm verglichen, also wieder einem altertümlichen Element des Kriegs. Selbst der Tag „flieht“. Die
Geschwindigkeit der Verwüstung wird deutlich, wenn innerhalb eines Tages die Ströme „voll Blut“ sind. Der
Krieg zerstört selbst die „letzte Glut“, hat also universelle und absolute Vernichtung zur Folge. Die Opfer
sind „zahllos“, übersteigen also menschliche Vorstellungskraft. Leichen liegen im Schilf, in der Natur, sie
werden von Todesvögeln weiß bedeckt. Die Farbe Weiß symbolisiert die Unschuld der Natur, die von dem Treiben
der Menschen, des Krieges befleckt wird.
Auch die Stadt wird zerstört. Wie ein Riese steht der Krieg über dem Geschehen und betrachtet sein Werk. Die
Stadtmauern, der Schutz der Stadt, brennt, in den „schwarzen Gassen“ wird gekämpft, die Tore sind ohne Wächter,
Brücken sind mit Toten bedeckt. Alles was verbindet, zusammenfügt wird durch den Krieg auseinandergerissen.
Jede Sicherheit geht verloren, es gibt keinen Weg nach draußen, kein Entkommen, die Flucht über die Brücke
ist versperrt. Es gibt also keinen Weg für friedliche Konfliktlösungen, die Stadt ist in Feuer und Dunkelheit
getaucht. Der Verursacher des Ganzen aber erscheint als Beobachter, hier könnte Heym auf die Kriegestreiber
anspielen, die aus sicherer Entfernung den Krieg verfolgen.
Die siebte Strophe ruft ein Höllenszenario hervor. Einen Höllenhund, der mehrköpfig Verderben bringt, jagt der
Krieg übers Land, querfeldein, also mehr oder weniger wahllos und willkürlich. Die Hölle, die schwarze Welt
der Nächte, springt aus dem Dunkeln, d.h. das ehemals Verborgene, das Böse im Menschen, kommt zum Vorschein.
Naturkatastrophen sind die einzigen Lichtquellen, die furchteinflössenden Vulkane verstärken auch wiederum
das Bild einer Hölle aus Dunkelheit und Feuer.
Dieses Bild zieht sich auch durch die nächste Strophe: In der weiten finstren Ebene leuchten verstreut, also
isoliert, rote Zipfelmützen. Die Feuer werden mit dieser Bezeichnung verzerrt und sie werden in ihrer Größe
und Bedeutung abgeschwächt und so ironisch verniedlicht. Die Perspektive erfolgt von oben, wie mit einem
riesigen Besen, also etwas, mit dem man Abfall beseitigt, fegt der Krieg, das, was ihm entkommen will in
den Tod und die Vernichtung.
Das Feuer zerstört auch die Natur, ohne, dass es aufgehalten werden könnte. Es „frisst“ den Wald, wird also
personifiziert und ihm wird eine Eigendynamik zugestanden. Fledermäuse, ein Symbol der Nacht und Bedrohung,
sterben qualvoll im Feuer. Das Adjektiv „gelb“ erinnert an Schwefel und wiederum an die Hölle. Der Krieg wird
mit einem Köhlerknecht verglichen. Er wandelt zielstrebig Holz in Kohle um. Es scheint, als ob er sich davon
einen Gewinn verspräche.
Die vorletzte Strophe steht im Präteritum. Sie deutet auf die Stadt Gomorrha. Gomorrha ist eine Stadt in der
Zeit des Alten Testaments. Sie wurde nach dem Bericht der Bibel in den Tagen Abrahams zusammen mit Sodom
wegen ihrer Gottlosigkeit von einem Feuer- und Schwefelregen vernichtet. So beschreibt Heym ihre Vernichtung
als lautlos und selbstverursacht. Ohne Gegenwehr drängt sie sogar selbst darauf gefressen zu werden, wirft
sich in den Bauch des Abgrunds. Über dem Verderben steht ein Riese, der in „wilde Himmel dreimal seine Fackel
dreht.“ Derjenige, der die Stadt vernichtet hat, muss ein göttliches Wesen sein. Die Begriffe „Himmel“ und die
Zahl Drei verstärken diese Vermutung. Auffällig ist, dass diese mit der nächsten Strophe verbunden ist. Sie
gehören also inhaltlich enge zusammen. Der Himmel, bzw. die Wolken sind sturmzerfetzt, selbst über der Erde
gibt es Zerstörung. Auf der Erde herrscht „totes Dunkel in kalten Wüsteneien.“ Alles Leben scheint ausgelöscht.
Mit der Fackel will das Wesen selbst die Nacht verdörren. Das Gedicht endet mit absoluter Vernichtung.
Auch wenn das Gedicht die Schrecken des Krieges eindringlich schildert, scheint er doch eine Macht zu sein,
der der Mensch hilflos ausgeliefert ist. Er kann seinen Ausbruch nicht vorhersagen, kann ihn nicht verhindern
und nicht beenden. Der Mensch kann den Krieg nie ganz besiegen, er kommt immer und immer wieder. Somit spiegelt
das Gedicht die Ohnmacht der Expressionisten wider, die sich den abstrakten Kräften und der Sinnkrise ihrer von
Orientierungslosigkeit geprägten Welt ratlos gegenübersehen. Heym stellt den Krieg idealistisch dar, er scheint
wie ein von höheren Mächten entfachtes Feuer, dass Zerstörung bringt, um durch die Reinigung einen Neuanfang zu ermöglichen.