Das expressionistische Gedicht "Der Gott der Stadt" von Georg Heym 1910 veröffentlicht, handelt von einem zornigen
Gott namens Baal, der sich die Stadtbewohner zu Untertanen gemacht hat.
Nach meinem ersten Leseeindruck möchte Georg Heym mit seinem Gedicht, die grotesk-skurrile Situation der Stadtmenschen,
zur Zeit des frühen Expressionismus, verdeutlichen. Als Synonym für die ewige Monotonie und Akzeptanz dieses faden Lebens,
behilft er sich des Gottes Baal, der willkürlich über das Leben der Menschen herrscht.
Sinngemäß lässt sich das Gedicht in drei Abschnitte gliedern. Die ersten beiden Strophen (V-1-8) beschreiben den Baal,
wie er auf seiner olympischen Positionen sitzt und auf die Stadt nieder sieht. Die dritte Strophe schildert eine Messeartige
Szenerie, in der Millionen Menschen durch die Straßen ziehen und den Gott versuchen milde zu stimmen. Strophe vier gehört
analog zu den ersten beiden Strophen, jedoch leitet Heym hier bereits die "Apokalypse" für die letzte Strophe ein. Der Gott
wurde nicht besänftigt und entlädt seinen Zorn in Strophe fünf, indem er die Stadt in brand setzt und die Menschen "frisst"
(V.20).
Das Gedicht von Heym besteht aus insgesamt 20 Versen, die sich wiederum in fünf Strophen gliedern. Folglich besticht das
Poem formal durch seine Gleichmäßigkeit der Zusammenhängigkeit der 4 Verse, die eine Strophe bilden. Ausgewogen ist ebenso
der Kreuzreim im Schema abab. Das Metrum ist ein fünfhebiger Jambus und die Kadenzen sind männlich.
In der ersten Strophe beginnt es sofort mit der Beschreibung des "unbekannten Wesens". Auf einem Häuserblock sitzt der Gott
der Stadt, den man zuvor nur aus dem Titel des Gedichtes identifizieren konnte. Unantastbar und "breit" (V.1) überblickt er
wütend (V.3) die gesamte Stadt (V.4). Der Rauch der Fabriken steigt empor und lagert sich dabei um seine Stirn (V.2).
Dabei wirkt er so gigantisch, dass der Fabrikrauch nicht an ihm vorbei ziehen kann und sich deshalb kreisend um seine Stirn
bewegt, was wiederum seine Macht über die Natur widerspiegelt. Weil sein Wirkungskreis am Ende der Großstadt jedoch abebbt,
beäugt er die einzelnen Häuser am Stadtrand voll Wut (V.3,4).
Mit der zweiten Strophe erhält der Gott der Stadt den Namen Baal (V.5) zugesprochen. Ein Baal ist für gewöhnlich ein
verehrter Berg- oder Wettergott.
Ergeben scheint nicht nur eine Stadt, wie man in der ersten Strophe noch vermutete, sondern eine Reihe von großen
Städten (V.6) die ihm unterliegen und ihm durch die Kirchenglocken Tribut zollen (V.7). Sein Einfluss erstreckt
sich nun nicht mehr ausschließlich über die Natur, sondern erhält mit den läutenden Kirchen, religiöse Züge.
Die Informationen die in der zweiten Strophen preisgegeben werden, lassen die ganze Situation so besser erahnen.
Man erfährt das es bereits Abend (V.5) ist, der Baal menschliche Züge aufweist ("rote Bauch" V.5) und die
Kirchenglocken zu seinen Ehren läuten (V.7).
Die "schwarzer Türme Meer" verdeutlichen die Machtkonstellation nur um so mehr, denn sie stehen stellvertretend für
die Häuser, die ihrem Baal ebenfalls huldigen.
Insgesamt wirkt die Situation noch grotesker, als in der ersten Strophe und läuft geradewegs auf eine Apokalypse
hinaus.
Die dritte Strophe weist dann zum ersten Mal auf das Menschenvolk hin, über das der Gott Baal herrscht. In einer
großen und ekstatischen Zeremonie mit lauter Musik (V.9) tanzen die Menschen auf den Straßen (V:10), um den Baal zu
besänftigen. Ein erster Widerspruch findet sich dabei im Vergleich mit den dämonischen Korybanten (V.9). Sie gelten
als Ritualtänzer für die Göttin Kybele (aus der griechischen Mythologie), widersprechen damit aber einer ernsthaften
Huldigung eines Gottes. Dämonen stellen Wesen dar, die sich von Gott abgewannt haben, um anderen Schaden zuzufügen.
Übertragen auf das Gedicht bedeutet das, dass der Gott Baal sich nicht mit solch abtrünnigen Tänzen zufrieden stellen
lässt und seine Wut sich auf die Menschen weiter intensiviert.
Zusätzlich zu der, aus der Sicht des Baals unbefriedigende Huldigung, zieht weiterhin Fabrikrauch zu ihm auf (V.12),
der mit dem Duft von Weihrauch verglichen wird. Das Gedicht wirkt daraufhin vielmehr als eine große religiöse Messe,
deren Zweck es ist, dem Baal Huldigung auszusprechen und ihn Zufrieden zu stellen.
Indes scheint der dreckige Rauch aus den Schornsteinen der Fabriken (V.11), kein Ersatz für den anspruchsvollen Baal
zu sein.
Sein Zorn scheint ungebrochen und er sät seine Wut in den raschen Wetterwechsel (V.13-16) Als hätte der Baal seinen
Untertanen zuerst eine Chance gegeben, ihn zu überzeugen, ist seine Geduld in Strophe vier endgültig zu Ende. "Betäubend"
(V.14) macht er den Abend leichtfüßig und rasant zu Nacht, um sein geschaffenes Unwetter (V.13) über die Stadt zu schicken.
Die Stürme (V.15) pfeifen durch die Straßen auf denen sich immer noch Menschen befinden. Die Tiere, die ebenfalls in
Gefahr sein müssten, haben sich in der Form eines Geiers einen sicheren Platz auf dem Kopf, des in Tobsucht gefallenen
Baals, gesichert und beobachten das Unwetter aus sicherer Entfernung. Hierbei wird deutlich, dass die Wut des Gottes
einzig den Menschen gilt und Tiere von den Sühnen befreit sind.
Die letzte Strophe im Gedicht, fällt nicht nur inhaltlich, sondern auch formal aus dem Schema. Waren in den ersten vier
Strophen am Versende immer sinngemäße Interpunktionen, gehen die Sätze in Strophe fünf, über die Verse hinaus
(Sprich Enjambements = Zeilensprünge; V. 18,19).
In Raserei schlägt der Baal in der Nacht seine Fleischerfaust (V.17) in die Stadt und entzündet dabei einen Flächenbrand.
Offen bleibt, wer die Bewohner der Stadt letztendlich "frisst" (V.20). Zum einen scheint der Baal natürlich verantwortlich
für die von ihm ausgelöste Katastrophe, sodass es nahe liegt, dass er die Menschen "frisst". Wahrscheinlicher ist jedoch
die Verbindung mit dem "Glutqualm" (V.19), was einen Tod in der Feuersbrunst bedeuten würde.
Diese Katastrophe findet ihr Ende letztendlich im frühen Morgengrauen (V.20), der für einen Neuanfang steht. Würde man
das Gedicht nun weiterdenken, und den zeitgeschichtlichen Epochenkontext heranziehen, kritisiert Heym die Eintönigkeit
des Stadtmenschen. Demzufolge käme der Baal am Abend wieder und das "Spiel" würde von neuem beginnen, was der Monotonie
und einem immerwiederkommenden Déjà-vu gleichkommen würde.
Untersucht man das Gedicht hinsichtlich der verwendeten Adjektive (breit, schwarz, rote, dröhnt, laut, schwelt, betäubt,
sträubt), so fällt dabei auf, wie Heym durch die Verwendung von negativ belasteten Adjektiven, die bizarre Wirkung der
Okkultartigen Messe verdeutlicht.
Stilistisch verwendet Heym eine Vielzahl von Rhetorischen Mitteln. Formal auffällig sind die Enjambements in der
fünften Strophe (V. 18, 19). Personifikationen sorgen abermals in den Gedichten Heym's dafür, einzelne
Gedicht/Stadt-Elemente mit Leben zu erfüllen (V. 4, 6). Durch die Vergleiche mit Korybanten und Weihrauch (V. 9, 12)
bekommt das Gedicht eine religiöse Nuance, was perfekt mit dem Bild des zornigen Baals harmoniert.
Zuletzt fallen noch einzelne rhetorische Figuren wie z.B. Hyperbel (V.10 "Millionen"), Alliterationen (V.17) und ein
Oxymoron/Paradoxon (V.18 "Ein Meer von Feuer) in den Blickpunkt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Gedicht die typische "Expressionistische Kritik" aufweist (Kritik an
Industrie (und deren Folgen auf die Umwelt), Monotonie und Stadtleben).
Das Gedicht handelt von einem gottartigen Wesen mit dem Namen Baal, der willkürlich und zornig über die Menschen in
den Großstädten herrscht bzw. sie terrorisiert. Im übertragenem Sinne drückt Heym somit aus, wie die Menschen sich
von der Stadt leiten und beeinflussen lassen. Heym's Zwanzigzeiler ist eine explizite Kritik an dem täglich,
identischen Leben in der Stadt. Es beginnt Abends/Nachts mit dem Untergang der Stadt und beginnt mit einem Neuanfang
in den frühen Morgenstunden. Hypothetisch wird diese Chance für einen Neuanfang nicht genutzt und sie geraten
spätestens am Abend erneut in die Fänge des Baals (zurück in die Alltägliche Monotonie) aus dessen Machtbereich
es kein entrinnen gibt. Weil der Tag in dem Gedicht keinerlei Bedeutung erhält, ist von einer Wichtigkeit oder
Besonderheit des Stadtlebens am Tag, in den Augen Heym's, abzusehen.
Typisch für zahlreiche Heym Gedichte (z.B. "Die Stadt"), ist die Apokalypse in der letzten Strophe, die auf
unverwechselbare Weise die Intention, die sich aus den vorherigen Strophen ergibt, pointiert und in einem
"Mini-Weltuntergang" darstellt. In "Der Gott der Stadt" ist besonders die steigende Handlung (von Strophe zu Strophe)
auffällig, die letztendlich in einer "Taschenapokalypse" ihr Ende findet.